Nachdem ich nun fast sechs Monate in Griechenland bin, fand Anfang Februar das Zwischenseminar statt. Das Zwischenseminar dient zur Reflexion über den Freiwilligendienst, zum Austausch mit anderen Freiwilligen und regt an, über die eigene Zukunft und weitere wichtige Themen nachzudenken. Normalerweise organisiert die Diakonie Württemberg gemeinsam mit anderen Organisationen in Griechenland und angrenzenden Ländern wie beispielsweise der Türkei ein gemeinsames Treffen. Aufgrund von Corona war dieses Jahr allerdings leider nur ein online Seminar möglich. Damit Julia und ich nicht die gesamten fünf Tage, die das Seminar dauerte, alleine bei uns in der Wohnung vor dem Laptop sitzen mussten, durften wir Elli, eine Freiwillige des Gustav-Adolf-Werks in Katerini besuchen, um mit ihr gemeinsam am Seminar teilzunehmen. Über diese Möglichkeit haben wir uns sehr gefreut und unsere kleine Reise sehr genossen. Nachdem wir am Sonntagabend mit dem Bus nach Katerini gefahren sind, wurden wir sehr nett von Elli und ihrer Chefin Alexandra begrüßt, die uns vom Bahnhof abholten und zur Wohnung brachten, in der wir für das Seminar untergebracht waren. Nachdem wir nun fünf Monate ohne Spülmaschine und mit nur gelegentlich funktionierendem Ofen und Herd gelebt haben, haben wir uns besonders über die tolle Küchenausstattung der Wohnung gefreut!
Abends hat uns Elli dann noch eine ihrer Lieblingsbars gezeigt, wo wir noch etwas Kleines zu Abend gegessen haben. Nach einem nettem Spaziergang zurück zur Wohnung sind wir dann recht früh schlafen gegangen, um am nächsten Morgen gut ins Seminar zu starten.
Nach einem kurzen Gang zum Bäcker startete dann am Montagmorgen unser Seminar. Zu Beginn, gab es eine kleine Vorstellungsrunde, in der alle kurz über sich, ihr Gastland und ihre Einsatzstelle erzählten. Insgesamt waren wir etwa 15 Freiwillige aus vier verschiedenen Ländern: Finnland, Norwegen, Malta und Griechenland. Anschließend tauschten wir uns in Kleingruppen über unsere Erfahrungen der vergangen Monate aus. Es war sehr interessant, mehr über die verschiedenen Einsatzländer und Aufgabenbereiche der anderen Freiwilligen zu lernen. Während einige Freiwillige auf Malta in einem Kindergarten für Kinder mit Autismus arbeiteten, gab es Freiwillige in Finnland, die in einem Internat eingesetzt waren, das mit Menschen mit Behinderung arbeitet und weitere Freiwillige, die in Griechenland im Kindergarten, einer Kirchengemeinde und, wie wir, mit Geflüchteten arbeiten. Nach einer langen sonnigen Mittagspause, in der wir Katerini etwas erkunden konnten, ging es am Nachmittag weiter mit einer persönlichen Reflexion. Innerhalb eines Stimmungsdiagramms sollten wir festhalten, wie wir in den letzten Monaten verschiedene Faktoren, wie unsere Arbeit, unsere WG und unsere ganz persönlichen Emotionen, wahrgenommen haben. Es war sehr interessant, das letzte halbe Jahr auf diese Weise Revue passieren zu lassen. Und so war der erste Seminartag auch schon vorüber! Julia und ich haben abends noch unsere tolle Küche ausgenutzt und etwas Leckeres gekocht und einen sehr gemütlichen Leseabend in unserer Wohnung verbracht.
Der zweite Seminartag startete mit einer weiteren Austauschrunde in Kleingruppen, dieses Mal bezüglich verschiedener Emotionen wie Glück, Freude oder Wut, in welchen Situationen wir diese innerhalb unseres Freiwilligendienstes erlebt haben und wie wir damit umgegangen sind. Trotz unserer doch sehr unterschiedlichen Einsatzstellen und -länder, war es interessant zu beobachten, wie sich unsere Emotionen oftmals ähnelten. Glück und Freude beispielsweise verbanden die meisten von uns mit schönen Erlebnissen mit unseren Mitmenschen. So berichtete ein Mädchen aus Finnland von einem kleinen Jungen im Kindergarten, der anfangs Angst vor ihr zu haben schien, sie mittlerweile aber jeden Tag freudestrahlend begrüßt. Eine andere Freiwillige berichtete von Erfolgserlebnissen, wenn ein Kind mit Autismus eine Aufgabe, an der es lange gescheitert war, schaffte und ich erzählte von meinem geflüchteten Kollegen Hassan, der in der Produktion bei NAOMI arbeitet. Nach einem längeren Gespräch über Vegetarismus, bei dem er mich zuerst sehr misstrauisch fragte, was man denn ohne Fleisch essen sollte, schickte ich ihm später auf seinen Wunsch ein vegetarisches Pasta-Rezept. Einige Tage später überraschte er mich dann zur Mittagspause mit Nudeln mit einer Gemüsesoße, die er extra für mich und die anderen Mitarbeitenden gekocht hatte.
Im Nachmittagsteil des Seminars beschäftigen wir uns dann mit dem Thema Diskriminierung. Zu Beginn sammelten wir gemeinsam unsere ersten Assoziationen, die wir mit verschiedenen Ländern verbinden. So sammelten sich bei Frankreich Worte wie "Baguette", "Paris" oder "Croissant", die ersten Worte die uns bei Ländern wie Polen oder Rumänien in den Sinn kamen waren deutlich negativer behaftet und bei der Elfenbeinküste waren die ersten Assoziationen "Entwicklungsland" oder "arm". Obwohl es bei dieser Übung nur um die ersten Gedanken ging, die einem in den Kopf kommen, wenn man an verschiedene Länder denkt und wir eigentlich wissen, dass Frankreich noch deutlich mehr als Baguette und Croissants zu bieten hat und die Aussage alle Polen würden klauen nur ein Klischee ist, war es trotzdem erschreckend auf diese Weise zu erkennen, wie tief gewisse Stereotype in uns verwurzelt sind und wie wenig man über einige Länder eigentlich weiß.
Im Anschluss daran haben wir uns weitergehend mit dem Thema Klischees und Stereotypen beschäftigt, indem wir uns die Rede "The danger of a Single Story" von Chimamanda Ngozi Adichie ansahen, die ich auch euch sehr ans Herz legen kann. In ihrer Rede beschreibt die nigerianische Schriftstellerin die Macht einer Geschichte und die Gefahr, die darin liegt, wenn man eine einzelne Geschichte auf eine Region oder eine bestimmte Gruppe Menschen bezieht, anstelle deren Komplexität und Vielfältigkeit anzuerkennen. Ihre Rede ist sehr bewegend und öffnet einem in vielerlei Hinsicht die Augen, ich kann euch nur empfehlen mal reinzuhören (https://www.ted.com/talks/chimamanda_ngozi_adichie_the_danger_of_a_single_story).
Abschließend beschäftigten wir uns mit "Single Stories", die häufig mit unserem Gastland verbunden werden. Dafür verglichen wir die Ergebnisse der Google-Bildersuche, die als Erstes auftauchen, wenn man "Griechenland" eintippt, mit unseren Eindrücken und Erfahrungen und stellten diesen Kontrast in einer PowerPoint-Präsentation den anderen vor. Laut Google besteht Griechenland lediglich aus weißen Sandstränden, Küstenstädten wie Santorini, der Akropolis und blau-weiß gestreiften Griechenland-Flaggen. Obwohl all dies natürlich Teil von Griechenland ist, ist das Gesamtbild doch deutlich vielschichtiger. So gibt es Großstädte wie Thessaloniki, viel Landwirtschaft, traditionelle Gerichte außerhalb von Gyros und Tsatsiki, man kann Wandern und sogar Skifahren, es gibt bedeutende Werke in Musik, Kunst und Literatur und neben der Antike verfügt Griechenland außerdem über eine sehr bewegte jüngere Geschichte.
Im Anschluss an unseren zweiten Seminartag hatten Julia und ich dann Einzelgespräche mit Anna-Lena, unserer Koordinatorin aus Deutschland, mit der wir noch einmal gemeinsam über unsere letzten Wochen und das vergangene halbe Jahr im Gesamten reflektierten. Obwohl ich nach einem ganzen Tag vor dem Bildschirm doch etwas erschöpft war, tat das Gespräch sehr gut und war ermutigend, mit frischer Energie in die zweite Hälfte meines Freiwilligendienstes zu starten.
Nach diesem ziemlich langen Tag, waren wir trotz unserer tollen Kücheneinrichtung wenig motiviert zu kochen und sind abends gemeinsam mit Elli, in eine ihrer Lieblingstavernen gegangen. Dort wurden wir erstmal mit einem Shot Wein begrüßt, den der Inhaber dort mit jedem Gast zur Begrüßung trinkt. Anschließend gab es viele verschiedene Köstlichkeiten, von Rotebeete-Salat mit griechischem Joghurt, über frittierte Zucchini und gefüllte Aubergine bis zu gebackenen Feta mit Tomaten und Honig. Nach diesem sehr gelungenen Tavernen-Besuch hat uns Elli noch eine Bar gezeigt, in der wir den Abend gemütlich ausklingen haben lassen.
Den nächsten Seminartag begannen wir mit einem Workshop rund um das Thema Sexualität, geleitet von einer Sexualtherapeutin. Ihr Workshop mit dem Titel "Sexredend" diente zur Anregung offen über Themen im Bereich Sexualität zu reden, die auch heute noch oftmals in der Gesellschaft tabuisiert werden. So beschäftigten wir uns mit Themen wie Kommunikation und Consent, sexueller Gesundheit, Prävention und STI's, Genderidentitäten, Filme und Pornos, Fantasien, Jungfräulichkeit als soziales Konstrukt, Masturbation und das Recht auf freie Auslebung der eigenen Sexualität. Anschließend hatten wir die Möglichkeit Einzelgespräche mit der Sexualttherapeutin zu führen, um persönliche Themen und Fragen zu besprechen. Ich fand den Workshop äußerst interessant und habe mich sehr über dieses Angebot gefreut. Ich denke, dass ein offener Umgang mit dem Thema Sexualität sehr wichtig ist, um über sich selbst und den Umgang miteinander zu lernen und den Abbau von Diskriminierung zu fördern. Ein Workshop wie "Sexredend" bietet dazu wie ich finde eine tolle Grundlage und regt zu einem offeneren Austausch an.
Nach einer entspannten Mittagspause bei herrlichem Sonnenschein auf dem Balkon starteten wir in den zweiten Teil des Seminartags. Innerhalb eines Gruppenspiels wurden alle Freiwilligen in zwei Gruppen eingeteilt und mussten verschiedene Aufgaben innerhalb von 45 Minuten erfüllen. Beispielsweise sollten wir ein Video drehen, in dem ein Gruppenmitglied einen Pfannkuchen dreimal in einer Pfanne flippt, eine Collage gestalten, in der alle Gruppenmitglieder eine Yogapose machen, ein Liebesgedicht an unser Gastland schreiben, ein Mathe- und ein Kreuzworträtsel lösen, ein dreistöckiges Kartenhaus bauen und einen Werbespot drehen. Für jede erfüllte Aufgabe wurden Punkte verteilt und nach der Auswertung, gewann überraschender Weise meine Gruppe. Allerdings wurde uns der Sieg am nächsten Tag leider wieder abgesprochen, da man sich angeblich verzählt hätte...
Am nächsten Tag unseres Zwischenseminars beschäftigten wir uns mit dem Thema Umwelt. Zu Beginn hörten wir uns eine sehr interessante Präsentation zum Thema Müll und Recycling an. Darin wurde insbesondere das Problem von illegalen Deponien im Ausland und dadurch verfälschten Statistiken in Bezug auf Recycling aufgezeigt. Schaut man sich die Statistik vom Anteil von in Deutschland recyceltem Papier und Plastik an, ist man erst einmal positiv überrascht. Allerdings ist es wichtig, diese Werte zu hinterfragen. Denn Deutschland und andere europäische Länder verfrachten große Anteile ihres Mülls in andere Länder - legal und illegal. So werden auf illegalen Deponien insbesondere in Südostasien immer wieder Verpackungen von europäischen Produkten gefunden, deren Hersteller sich angeblich nicht erklären können, wie ihr Müll dort hingelangen konnte. Illegale Deponien mit zu großen Anteilen Müll aus Europa sorgen für eine erhebliche Belastung für Umwelt und die Gesundheit der Einheimischen. So führt das Verbrennen von Plastik auf diesen Deponien nicht nur zu einem schrecklichen Gestank, sondern auch zu chronischen Krankheitsbildern wie beispielsweise Asthma, Krebserkrankungen oder Unfruchtbarkeit.
Im Anschluss daran warfen wir einen genaueren Blick auf den Umgang mit Müll und Recycling in unseren Gastländern. Wir mussten feststellen, dass gerade in Griechenland und auf Malta, aber auch in Finnland und Norwegen noch viel Luft nach oben ist. In Griechenland gibt es beispielsweise kein Pfandflaschensystem und Mülltrennung existiert mehr oder weniger nur zum Schein. Es gibt zwar zwei verschiedene Mülltonnen - eine für Papier und Plastik und eine für jeglichen anderen Müll, allerdings wird in den meisten Fällen der Müll doch komplett vermischt und es lässt sich kaum mehr erkennen, welche Mülltonne für welchen Müll gedacht ist. Außerdem ist uns aufgefallen, dass auf Märkten, beim Bäcker, in Cafés und im Supermarkt nicht an Plastik gespart wird. Wenn man in einigen Coffee-to-go-Shop beispielsweise ein Sandwich kauft, ist dieses in Plastikfolie eingewickelt, kommt dann in eine Papiertüte und wird einem anschließend in einer Plastiktüte überreicht. Außerdem auffällig ist, dass oftmals das Bewusstsein für die Gründe und Vorteile einer Reduzierung von Verpackungen nicht vorhanden ist oder ignoriert wird. So habe ich schon oftmals irritierte Fragen oder Blicke bekommen, wenn ich darum gebeten habe keine Plastiktüte zu verwenden. Das betrifft aber natürlich nicht alle Griech*innen, NAOMI beispielsweise legt großen Wert auf Zero Waste und ist sehr an einem möglichst umweltfreundlichen Lebensstil bemüht. Auch auf dem Markt gibt es immer wieder positives Feedback, wenn ich auf Plastiktüten verzichte und Obst und Gemüse in meinen Stoffbeuteln unterbringe.
Anschließend folgte ein verkürztes Nachmittagsprogramm, bei dem wir innerhalb einer weiteren Aufgabe zur Selbstreflexion aus einer Liste Werte und Begriffe wählten, die uns besonders wichtig sind und diese dann miteinander verglichen und gegeneinander abwogen. Es war sehr interessant auf diese Weise zu sehen, welche Werte einem besonders wichtig sind, allerdings war es gleichzeitig sehr schwierig einige Werte einander unterzuordnen, da insbesondere Werte wie beispielsweise Empathie, Toleranz und Respekt eng miteinander verknüpft sind.
Unseren freien Nachmittag haben wir dann voll ausgenutzt, indem wir einen Ausflug zum Strand gemacht haben. Obwohl es doch etwas frischer als erwartet war, haben wir unseren zu Beginn des Seminars beschlossen Vorsatz schwimmen zu gehen, in die Tat umgesetzt. Es war dann zwar Dank der sehr niedrigen Wassertemperatur doch eher ein schnelles Untertauchen und sofort wieder Herausrennen, aber insgesamt trotzdem ein wunderschöner Abend mit herrlichem Sonnenuntergang und Blick auf den Olymp.
Am Freitag war dann auch schon unser letzter Seminartag. An diesem Tag ging es um das Thema Zukunft. So sprachen wir über verschiedene Möglichkeiten für Universitäten und Ausbildungsmöglichkeiten und auch wie und wo man sich diesbezüglich gut informieren kann. Außerdem gingen wir den Aufbau von Lebenslauf und Bewerbungsanschreiben durch und besprachen, worauf man dabei besonders achten muss. Anschließend tauschten wir uns in Kleingruppen über unsere Pläne für die Zukunft aus und endeten das Seminar erneut mit einer Selbstreflexion, bei der wir einen Lebensbaum zeichneten. Dabei symbolisierten die Wurzeln unsere Ressourcen und Dinge, die uns Kraft spenden, der Stamm stand für die Gegenwart und wie wir uns gerade fühlen und wahrnehmen, Schädlinge beschrieben Schwierigkeiten, mit denen wir uns konfrontiert sehen und in der Baumkrone sammelten sich Wünsche und Pläne für die Zukunft.
Insgesamt fand ich das Zwischenseminar eine sehr lohnende und interessante Erfahrung. Es war toll in Austausch mit anderen Freiwilligen zu treten, an spannenden Workshops teilzunehmen und über seinen Freiwilligendienst und sich selbst nachzudenken. Es war außerdem sehr schön eine kleine Reise machen und dadurch mehr von Griechenland entdecken zu können.
So bin ich voller Anregungen und Motivation in die zweite Hälfte meines Freiwilligendienstes gestartet und freue mich schon sehr auf alles, was mich in den kommenden Monaten noch erwarten wird.
Darüber werde ich euch natürlich auf dem Laufenden halten!
Bis dahin ganz liebe Grüße aus Thessaloniki!
Eure Hannah
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