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hannahhertzberg

Und schon ist der erste Monat um

Kaum zu glauben, dass ich nun schon über einen Monat in Thessaloniki bin! Die vergangenen Wochen waren so erlebnisreich, voller Begegnungen mit Menschen aus aller Welt, interessanten Gesprächen, dem Ankommen im Arbeits- und WG-Leben und der Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und unterschiedlichsten Lebensrealitäten.



In meinem letzten Blogeintrag über meine ersten zwei Wochen in Thessaloniki, habe ich euch bereits meine ersten Eindrücke und Erlebnisse bei NAOMI geschildert. Auch in den vergangenen Wochen habe ich viele interessante Erfahrungen in meiner Einsatzstelle sammeln können. Mittlerweile habe ich mich schon sehr gut in den Arbeitsalltag eingefunden. Nach einem erneuten Gespräch mit Gabriella, der Leiterin des Social Departments und Zoi, der Leiterin der Produktion, haben wir uns darauf geeinigt, dass Julia und ich uns wöchentlich mit Vor- und Nachmittagsschichten abwechseln, um tiefer in die verschiedenen Aufgaben eintauchen zu können. In Woche drei war ich vormittags dran und somit maßgeblich in der Produktion beschäftigt. Besonders wichtig in dieser Woche war das Projekt "Tear down The Wall 2021" von Ivana Curi. Aus UNHCR Decken wurden bei NAOMI Hüllen genäht, die als Steine einer Mauer für Ivana Curis Projekt dienen. Diese wurden dann von Mädchen aus dem Camp Casa Base mit Handabdrücken bedruckt, anschließend wurden noch kleine Etikette mit Namen, Alter und Herkunft der Mädchen angefertigt (bei diesem Schritt durfte ich assistieren) und schließlich wurden diese aufgenäht. Danach gingen die fertigen Stoffhüllen nach Fürth, wo Frau Curi ihre Ausstellung erfolgreich gestartet hat!



Außerdem hatte ich diese Woche weitere Aufgaben, wie Fäden von Hosen abschneiden, die Hosen ordentlich einpacken, Gummibänder in S, M oder L zuschneiden und einmal durfte ich die Schnitte für die neue Kollektion abholen. Das war nicht nur ein netter Spaziergang Richtung Meer, sondern auch sehr interessant, da ich einen kleinen Einblick darüber gewinnen konnte, mit wem NAOMI zusammenarbeitet und wie viele Schritte es benötigt tatsächlich ein Kleidungsstück herzustellen.


Zudem ist ab der dritten Woche noch eine weitere Aufgabe in meinen Zuständigkeitsbereich gefallen: Die "porta", wie es auf Griechisch heißt. Immer wenn es klingelt, hört man irgendwen ein lautes "Hannah, porta" rufen und dann ist es meine Aufgabe die Tür zu öffnen, die ankommende Person zu begrüßen und darum zu bitten einen Corona-Selbsttest zu machen. Anschließend zeige ich, wie der Selbsttest funktioniert und bitte darum ein Formular auszufüllen, was manchmal aufgrund von Sprachbarrieren ein bisschen kompliziert ist, aber mit Händen und Füßen klappt es dann meistens doch! Diese Aufgabe ist sehr interessant, da ich auf diese Weise, mit verschiedensten Menschen, wenn auch nur flüchtig, in Kontakt komme und beobachten kann, wer bei NAOMI ein- uns ausgeht!


Abgesehen davon haben Suji, meine dänische Mitarbeiterin, die bei NAOMI ein Praktikum für ihren Master in Development & International Relations macht, Julia und ich einen kleinen Englischkurs für unsere Kolleg*innen gestartet. Zwar beherrschen sie Englisch auf sehr unterschiedlichen Levels, wünschen sich jedoch alle ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Denn gute Englischkenntnisse sind nicht nur für ein gegenseitiges Verständnis, sondern auch für viele Jobs ein ausschlaggebendes Kriterium. Um für alle Teilnehmenden den Kurs möglichst levelgerecht zu gestalten, haben wir unsere Kolleg*innen in Anfänger*innen und Fortgeschrittene aufgeteilt. Gemeinsam mit Hassan, der bereits Erfahrung im Sprachen Lehren und Lernen hat, haben wir für beide Gruppen einen Plan ausgearbeitet. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich mich erstmal um die Anfänger*innen-Gruppe, kümmern werde, während Suji sich mit den Fortgeschrittenen beschäftigt und Julia von Gruppe zu Gruppe wechselt, je nachdem wo Hilfe benötigt wird.

In der ersten Stunde bin ich mit meiner Gruppe erst einmal Basics wie "How are you?" und mögliche Antwortmöglichkeiten, wie man sich vorstellen kann, sowie die Zahlen und erste Vokabeln wie "mouth", "eyes" und "belly" durchgegangen. Es war toll zu erleben, wie motiviert und bemüht alle waren. Gerade weil aufgrund der Sprachbarriere mein Kontakt insbesondere zu den Teilnehmer*innen der Beginnergruppe bisher größtenteils auf ein nettes Lächeln und ein "hello" oder "kalimera" am Morgen beschränkt war, habe ich mich sehr gefreut, mehr Zeit mit ihnen zu verbringen und ihr offenes Engagement zu sehen. Ich freue mich schon sehr auf die kommenden Stunden!



Auch der Deutschunterricht mit Zakia macht weiterhin sehr viel Spaß. Meistens beginnen wir mit einem kleinen Gespräch über das vergangene Wochenende, sehen uns danach gemeinsam ihre Hausaufgabe an und machen dann weiter mit der nächsten Grammatikübung, zurzeit sind wir noch beim Akkusativ. Anschließend folgt eine Übung zum Leseverstehen und zum Schluss machen wir meistens noch ein bisschen Vokabeltraining und enden mit einer kleinen Feedbackrunde, bevor sie dann zu ihrem Nähkurs geht.


Ein weiteres sehr interessantes Projekt, welches nach einer Corona-bedingten Pause ab jetzt wieder jeden Freitagnachmittag stattfindet ist der Creative Sewing Workshop. Das Projekt wird von zwei jungen griechischen Designerinnen organisiert, mit dem Ziel einen Safe Space für Frauen und Mädchen zu schaffen, miteinander zu nähen und sich bei entspannter Atmosphäre auszutauschen. Es geht darum einander zu inspirieren und verschiedene Nähtechniken voneinander zu lernen, wodurch wiederum Perspektiven für eigene kleine Nähprojekte erschaffen werden, durch die sich etwas Geld verdienen lässt. Außerdem ist den beiden Projektleiterinnen das Thema Nachhaltigkeit sehr wichtig, innerhalb ihrer Nähprojekte wird großer Wert auf Zero Waste, Recycling und Upcycling gelegt. Das derzeitige Projekt der Gruppe ist eine Patchworkdecke, dafür mussten erstmal sehr viele kleine Quadrate ausgeschnitten werden, wobei ich auch mithelfen durfte. Dieses ruhige, gemeinsame Arbeiten, hatte etwas sehr Entspannendes und mir gefällt das Ziel, aus vielen kleinen einzelnen Teilen gemeinsam etwas Größeres zu schaffen. Ich bin schon sehr gespannt, wie das Projekt weitergeht und freue mich schon aufs nächste Treffen!



Außerdem sehr interessant waren zwei Zoom-Workshops an denen Julia und ich teilnehmen durften. Am 5. Oktober fand die Podiumsdiskussion "Gestrandet für immer? Zur aktuellen Lage der Geflüchteten in Griechenland" statt. Verschiedene interessante Personen schilderten ihre Perspektive zu dem Thema, unter ihnen ein Mitgründer des Corona Awareness Teams in Moria, ein Ehepaar, welches sich bei dem gemeinnützigen Verein "Heimatstern e. V." engagiert, sowie ein Professor der Aristoteles-Universität Thessaloniki. Die sehr interessante Diskussion enthüllte vor allem viele Missstände, denen Geflüchtete in Griechenland ausgesetzt sind. Zum einen wurden die in vielen Camps menschenunwürdigen Lebenssituation thematisiert. Oft kämpfen Geflüchtete dort mit Kälte, Hunger, mangelhafter medizinischer Versorgung, dem fehlenden Zugang zu Elektrizität und unzureichender Unterstützung auf verschiedensten Ebenen. Hinzu kommt außerdem das große Problem, dass die griechische Regierung den Integrationsprozess von Geflüchteten kaum unterstützt und große Lücken im System klaffen. Zwar steht den Geflüchteten theoretisch eine finanzielle Unterstützung zu, diese wird aber in den meisten Fällen gar nicht oder nur sehr unregelmäßig ausgezahlt. Hinzu kommt, dass es keinerlei Hilfe bei Wohnungs-, Job- oder Sprachkurssuche gibt, sodass insbesondere Geflüchtete, die Asyl erhalten haben mit Obdachlosigkeit konfrontiert sind. Nachdem man Asyl erhalten hat, muss man seinen Platz im Camp nämlich innerhalb kürzester Zeit räumen und ist dann vollkommen auf sich allein gestellt. Der Integrationsprozess läuft in Griechenland daher beinahe ausschließlich über NGO's. Doch auch den NGO's mangelt es häufig an finanziellen Mitteln und anderweitigen Ressourcen, da Spenden und Aufmerksamkeit stetig abnehmen.

Außerdem stark kritisiert wurde das umstrittene Projekt des durch EU-Finanzierung neu errichteten Flüchtlingslagers auf Samos, welches nach dem großen Brand im extremst überlasteten Lager Moria 2020 in Planung trat. Mit dem Grundsatz kein „zweites Moria“ zu schaffen, wurde ein neues Lager auf Samos errichtet, in welchem zwar nicht derartig viele Menschen auf kleinstem Raum leben, unmenschliche Bedingungen jedoch auf ganz anderer Ebene herrschen: Eingezäunt mit Stacheldraht, mit Videoüberwachung, strikten Ein- und Ausgangszeiten und strengen Kontrollen gleicht das Lager auf Samos einem Gefängnis und ist daher insgesamt ein sehr umstrittenes Projekt. Dorothee, Gründungsmitglied und oberste Chefin bei NAOMI hatte uns diesbezüglich außerdem ein YouTube Video vom ZDF Magazin Royale weitergeleitet, welches die Problematik sehr anschaulich widerspiegelt. Guckt gerne mal rein, wenn ihr mehr zur aktuellen Flüchtlingssituation und insbesondere dem Camp auf Samos erfahren möchtet (https://www.youtube.com/watch?v=tJMLNMlJkPw)!


Vergangene Woche Donnerstag durften wir dann an einem weiteren sehr interessanten online Seminar teilnehmen, dieses Mal zum Thema "Zero Waste". Denn Nachhaltigkeit ist ein großes Thema bei NAOMI. So werden beispielsweise nur Stoffe und Materialien, die in Griechenland unter fairen und umweltfreundlichen Bedingungen hergestellt oder recycelt werden, genutzt. Doch teilweise sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Innerhalb des Seminars wurde das Konzept „Zero Waste“ erläutert und konkrete Vorschläge für NAOMI diskutiert. Für die Zukunft gibt es Pläne zur Vermeidung von Papierhandtüchern, natürlichem Waschmittel zum Putzen und dem Einbau einer Filteranlage zur Vermeidung von Plastikkanistern für Trinkwasser.

Doch nicht nur bei NAOMI habe ich in den vergangenen Wochen viel erlebt. Mit Mo habe ich einen sehr schönen Spaziergang zur Burg Kastra gemacht, die ganz über der Stadt auf einem kleinen Berg gelegen ist. Entlang der historischen Stadtmauer sind wir zur Burg gewandert und haben dort die tolle Aussicht genossen.



Da das Wetter danach leider für etwa anderthalb Wochen beinahe nur aus Dauerregen und ungemütlichen Temperaturen bestand, waren meine langen Spaziergänge für diese Zeit erst einmal ausgesetzt, dennoch kann man auch bei schlechtem Wetter viel in Thessaloniki unternehmen. Gemeinsam mit Julia habe ich einen kleinen Second-Hand-Shoppingtrip und Wochenendeinkauf gemacht und zur Stärkung einen sehr leckeren veganen Gyros gegessen. Gyros ist eine griechische Spezialität, die es hier wirklich an jeder Straßenecke zu kaufen gibt. Weil ich es auch unbedingt mal ausprobieren wollte habe ich mich sehr über die vegane Option gefreut und bin immer noch etwas skeptisch, ob mein Gyros nicht vielleicht doch aus Fleisch bestand, weil Geschmack, Konsistenz und Aussehen wirklich täuschend ähnlich waren. Außerdem habe ich gemeinsam mit Noemi das MOMus-Museum of Contemporary Art besucht, was wirklich sehr interessant war. Insbesondere ein Ausstellungsteil, der das Projekt einer griechischen Künstlerin mit geflüchteten Frauen, ihren Fluchterfahrungen und ihren Wünschen für die Zukunft gezeigt hat, hat mich sehr berührt.



In den vergangenen Wochen habe ich außerdem viele neue Kontakte knüpfen können. Über unseren Griechisch-Sprachkurs, den Julia, Hassan und ich vor drei Wochen in der Deutschen Evangelischen Gemeinde Thessaloniki gestartet haben, haben wir einige sehr nette Freiwillige vom Deutschen Roten Kreuz kennengelernt. Außerdem habe ich nach der Arbeit einige Male am Fußball und Volleyball mit den ERASMUS-Studenten, sowie anderen ERASMUS-Programmen teilgenommen, was auch sehr Spaß gemacht hat. Neben Fußball und Volleyball, haben Julia und ich hier noch eine weitere neue Sportart gestartet: Kickboxen! Praktischerweise befindet sich direkt unter unserer Wohnung ein Kickboxing-Studio und nach einer Probewoche sind wir jetzt offizielle Mitglieder. Obwohl der Sport doch sehr anders im Vergleich zu Hockey und Tennis ist, macht es mir bis jetzt großen Spaß und ist außerdem eine super Option, um auch über den Winter fit zu bleiben, wenn Fußball und anderer Outdoor-Sport aus Wettergründen eventuell wegfallen!




Ein weiterer Höhepunkt der letzten Wochen war außerdem der Kurztrip nach Volos, den Julia und ich gemeinsam mit Noemi und Elisa, den Freiwilligen aus Katerini gemacht haben! Volos ist eine wirklich hübsche kleine Studentenstadt, etwa zwei Stunden von Thessaloniki entfernt. Gemeinsam sind wir durch die Stadt spaziert, haben Pizza an der Promenade gegessen und waren abends noch in einer der sehr netten, vielen Bars. Am nächsten Tag haben wir einen sehr entspannten Morgen mit leckerem Frühstück verbracht und sind danach noch zum Strand spaziert. Zum Baden war es zwar etwas kühl, aber trotzdem war es sehr entspannend und insgesamt ein sehr nettes Wochenende!



Das war’s jetzt erstmal von mir! Bald geht’s weiter mit neuen Updates!


Bis dahin, ganz liebe Grüße aus Thessaloniki!


Eure Hannah





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